Einsamkeit, Selbstzweifel und Bühnenrausch

Der Wechsel zwischen Geborgenheit in einer Ensemble-Gemeinschaft und der Isolation zwischen zwei Engagements ist eine Belastung für Darstellende. Kolumnistin Stefanie Gygax erzählt von ihren Krisen.

Egal ob Ensemble- oder Solokünstler, am Ende stehen wir immer wieder alleine da. Bei vielen Kollegen begann es schon mit dem Berufswunsch. Ich hatte das Glück von meinen Eltern unterstützt zu werden, da ich bereits ab dem 12. Lebensjahr im Theater arbeiten durfte.

Die Gemeinschaft in einer Grossproduktion, wie ich sie als erste Bühnenerfahrung erleben durfte, war unfassbar intensiv. Ich fühlte mich wie in einer grossen Familie. Freunde, die meine Leidenschaft teilten. Das Musical „Space Dream“ in Baden spielte während 5 Jahren in der damaligen Trafohalle und war für mich nicht nur das erste Engagement, sondern auch das Schönste bisher. Ich stand mit meiner Mama auf der Bühne, mit meinem ersten Freund, mit meiner besten Freundin, mit meinen Idolen. Nie im Leben hätte ich mir vorstellen können, dass man sich in diesem Beruf EINSAM fühlen könnte.

In meiner Schulzeit stand ich immer wieder auf der Bühne und mein Terminplan war immer voll. Nach der Matura zog ich mit meinem Freund nach Wien und der Trubel ging weiter. Während und nach meiner Ausbildung hatte ich weiterhin Engagements und dachte, das geht jetzt immer so weiter, steil aufwärts.

Denkste. Die Beziehung ging auseinander, ich zog wieder zurück in die Schweiz und da ich bei einem Weiterbildungslehrgang für Operette nicht aufgenommen wurde, stand ich mit 25 Jahren zum ersten Mal mit leerem Kalender da. Ich realisierte nach und nach bei den Castings, dass ich mit meiner Stimme gar nicht so richtig ins Musicalbusiness von heute passe.

Überall wollten Sie Pop- und Rockstimmen, oder du landest in einem Tanzensemble, weil dort jede gute Stimme wertvoll ist. Ich möchte aber nicht immer im Ensemble singen und meine Tanzkarriere war gesundheitlichen Gründen auch bereits am Ende. Schon Anfang zwanzig hatte ich permanente Schmerzen im Rücken und musste mich damit abfinden, dass tanzen nicht mehr lange drinliegt.

Plötzlich stand ich alleine da, ohne Job und mit schmerzerfülltem Körper.

Ich war psychisch total am Ende. Wusste nicht, was ich jetzt machen soll. Alles worauf ich so viel gesetzt hatte und all mein Herzblut hineininvestiert hatte, schien sich nun aufzulösen.

„Hm… du könntest ja Operette machen!“, hörte ich es in mir. Da meine Mutter viele Operetten gesungen hatte, wusste ich, dass es leichtere Operettenrollen gibt und schwerere, die ohne klassische Ausbildung nicht gesungen werden können. Also begann ich mit klassischem Gesangsunterricht bei einer Opernsängerin. Ich machte also einen Genre-Wechsel und fühlte mich in dieser Zeit alleine und ohne Halt.

Ich nahm Unterricht, wohnte bei meiner Tante im ehemaligen Grosselternhaus, hielt mich körperlich fit, machte immer wieder Castings und jobbte als Model. Die ewige Suche nach dem nächsten Theaterjob ist eine schwere Belastung für die Psyche. Ich begann an mir und an allem zu zweifeln, was ich bisher gemacht und erlebt hatte.

Ich hatte zwar ein neues Ziel im Sinn, wusste aber nicht, ob es klappen wird, dahin zu kommen. Ich merkte, wie wichtig es ist, gebraucht zu werden, Arbeit zu haben und einen Sinn im Leben zu spüren. Es geht nicht nur um Beschäftigung. Es ist schön, etwas mit Freunden zu unternehmen, aber es gibt mir nicht ein Gefühl von Sinnhaftigkeit im Leben. Ich möchte etwas bewirken, etwas kreieren, Geld verdienen. Innerhalb einer Produktion fühle ich mich nie einsam. Man probt jeden Tag zusammen, kreiert ein Stück, verbringt Pausen und auch Freizeit gemeinsam. Aber in Zwischenphasen, in denen ich unterrichte, Konzerte singe und übe, drehe ich regelmässig am Rad.

Wir haben in der Schule nichts über uns und unsere Psyche gelernt. Darum müssen wir uns selbst darum kümmern. Seit Jahren rennen so viele Menschen in ein Burn-out und dass viele Künstler im Drogenrausch oder beim Psychiater landen, ist sowieso bekannt. Wieso gibt es dafür nicht eine Anlaufstelle?

Letztes Jahr wurde mir erstmals kommuniziert, dass es im Kulturmarkt Zürich ein Programm gibt für Künstler, die beim RAV gemeldet sind. Dort können Sie Kurse besuchen und bekommen durch einen Fachcoach Begleitung und Unterstützung in sogenannten Arbeitslücken. Was für eine geniale Auffangmöglichkeit, die meiner Meinung nach viel zu Wenige kennen. So viele Menschen sind einsam und unglücklich mit ihrem Beruf, mit ihrem Umfeld, mit sich selbst.

Ich hoffe sehr, dass es in Zukunft immer mehr solcher Auffangstellen geben wird und es normal wird, mit einem Psychotherapeuten zu arbeiten. Es gibt so viele verschiedene Arten von Coachings und Beratungen heutzutage. Bitte nehmt diese in Anspruch und hängt nicht gleich alles an den Nagel, wenn euch der erstbeste Therapeut nicht entspricht.

Die Selbstreflexion und der Austausch mit einem „fremden“ Anker von Aussen ist so lebensverändernd und sollte daher auch viel erschwinglicher werden. Wenn wir unser Geld anstatt in irgendwelchen materiellen Kram, Alkohol und Drogen, in Therapien investieren würden, gäbe es meiner Meinung nach nicht so viel Burn-out und Depression auf dieser Welt.

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