Kultur: Zwischen Selbstausbeutung und Kommerz
Kulturschaffende sind in der Zwickmühle zwischen begeistertem Einsatz, Selbstausbeutung und prekärer Arbeit. Sie leben einen Beruf, der eigentlich keiner sein will. Oder soll. Gedanken von Nadine Hochstrasser.
Der Stadtpräsident sprach – umgeben von einem fast übermütig grossen Blumenbouquet – davon, wie wichtig wir für die Stadt seien. Dass wir Kunst- und Kulturschaffenden gesehen würden. Dass unsere Arbeit nicht genug gewürdigt werden könne – und dass es so nicht weitergehen könne mit diesen prekären finanziellen Umständen von Kunst- und Kulturschaffenden. 40’000 Franken Jahresverdienst im Durchschnitt seien zu wenig für das, was wir leisten. Da müsse sich etwas ändern. Die Lösung: Künftig gäbe es Gelder nur noch für Projekte, die Richtlöhne und Sozialversicherungen einrechnen.
Ich sass da, nickte – und fühlte mich irgendwie seltsam leer.
Wir haben uns anschliessend in sogenannten World Cafés über die Verordnung der Kulturförderung unterhalten und Unklarheiten, Verbesserungsvorschläge und Wünsche mitgeteilt.
Ich stand da, sah mir meine Mitstreiter*innen an und hatte den Eindruck, dass ich nicht die Einzige war, die sich irgendwie wenig angeregt fühlte und eher teilnahmslos wirkte. Und trotzdem sprudelte irgendetwas in mir.
Obwohl ich viel Wertschätzung seitens der Stadt spürte und das Apéro-Buffet keine Wünsche offenliess, ging ich mit einem bekümmerten Gefühl und mehr Fragen als Antworten nach Hause.
Ich wurde den Gedanken nicht los, dass wir den ganzen Morgen nicht über das eigentliche Problem gesprochen hatten.
In den folgenden Zeilen probiere ich nun, diese Gedanken in Worte zu fassen:
Ich glaube, ich habe einen Job, der nicht in unser wirtschaftliches System gehören sollte. Einen Beruf, der lieber keiner wäre.
Wie sollen wir von Kunst leben, wenn wir Kunst der Kunst willen machen – und nicht, um etwas zu produzieren, das in erster Linie gefallen muss, sich verkauft, sich rechnet?
Wenn sie keinen konkreten Nutzen hat – ausser vielleicht jenen, der sich nur mit den Sinnen erfassen lässt?
Kunst hat keine klare Funktion. Sie ist kein Produkt mit garantierter Rendite. Kunst ist eine Art, auf die Welt zu schauen. Eine Form, Fragen zu stellen, bevor Antworten überhaupt in Sicht sind.
Ein Regisseur, mit dem ich arbeite, sagte einmal:
„Weisst du, Nadine, ich finde das nicht kommerzielle Theater auch spannender. Aber damit kann ich leider kein Geld verdienen.“
Aber wieso machen wir das alles? Um uns mit angepasster Mittelmässigkeit zufriedenzugeben?
Wie ironisch ist es eigentlich, dass ein Mensch wie Van Gogh zu Lebzeiten in Armut lebte – und sich heute Tausende an seiner Kunst ergötzen und von seinen Werken profitieren? Wann ist Kunst „wertvoll“? Wahrscheinlich hat seine Kunst gerade deshalb einen solchen Wert, weil er sich eben nicht angepasst hat. Nur schade, dass er von dieser Wertschätzung nichts mitbekommen hat.
Ist es überhaupt möglich, von Kunst zu leben, ohne sie dem Kapitalismus zu opfern?
Am Ende ist doch genau das, was Kunst ausmacht, ihre unendliche Bandbreite. Es gibt immer Neues zu entdecken – für jeden Menschen, in jedem Moment. Kunst ist nie ausgeschöpft. Und wenn so viele Menschen Kunst schaffen, ist es vielleicht unvermeidlich, dass nicht alle davon leben können.
Aber vielleicht ist es genau diese Fülle, die wir brauchen. Diese Vielzahl an Angeboten, an Ausdrucksformen, an Stimmen. Wie schaffen wir also einen Raum, in dem Kunst unabhängig sein darf – ohne Zweck, ohne Zielvorgabe? Einen Raum, der diese wunderbare und geistesreiche Vielfalt nicht begrenzt, sondern schützt?
Ich schiebe meine Passionsprojekte kontinuierlich nach hinten, weil ich darauf angewiesen bin, mich anderen Projekten anzuschliessen, die finanziell weniger risikoreich für mich sind. Die Passion und der Idealismus schwingen natürlich immer mit. Aber künstlerische Anpassung und Kompromisse sind unumgänglich. Das ist eben der Job. Ich diene in dem Moment dem Projekt. Und da sind wir wieder bei der oben genannten Schwierigkeit.
Ich wünsche mir, dass das Kunst- und Kulturschaffend-Sein nicht gleichbedeutend ist mit Selbstausbeutung im Namen der Leidenschaft.
Aber wer weiss – vielleicht brauchen wir diesen Druck. Vielleicht ist es gerade diese Spannung, aus der etwas entsteht.
Ich hänge oft zwischen dem, was ich gerne tun würde, und dem, was gerade möglich ist. Zwischen Idealismus und Kompromiss. Und das ist manchmal frustrierend.
Aber das ist wohl der Unterschied zwischen Hobby und Job, I guess.
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